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 Grundeinstellung zur Meditation


 

 

Innerhalb des letzten Jahrhunderts hat die westliche Wissenschaft und insbesondere die Physik eine aufregende Entdeckung gemacht. Wir sind Teil der Welt, die wir betrachten. Unser Beobachtungsverfahren selbst verändert die Dinge, die wir beobachten. Zum Beispiel ist ein Elektron ein äußerst winziger Gegenstand. Es kann ohne Instrumente nicht betrachtet werden, und diese Apparate bestimmen, was der Beobachter sehen wird. Wenn Sie ein Elektron auf die eine Weise anschauen, erscheint es als ein Partikel, ein harter kleiner Ball, der auf hübsch geraden Bahnen umherspringt. Wenn Sie es auf eine andere Weise betrachten, scheint ein Elektron eine Wellenform zu sein, ohne dass irgend etwas Festes daran ist. Es leuchtet und zuckt auf der ganzen Linie.  Ein Elektron ist eher ein Ereignis als ein Ding, und der Beobachter hat Anteil an diesem Geschehen gerade durch seinen oder ihren Beobachtungsprozess. Es gibt keine Möglichkeit, diese Interaktion zu vermeiden.

Die östliche Wissenschaft hat dieses grundlegende Prinzip seit sehr langer Zeit erkannt. Der Geist ist eine Serie von Ereignissen, und der Beobachter nimmt an jenen Ereignissen jedes Mal teil, wenn er oder sie nach innen schaut. Meditation ist teilnehmende Beobachtung. Was Sie sich ansehen, reagiert auf den Vorgang des Sehens. Worauf Sie schauen, das sind Sie, und was Sie sehen, hängt davon ab, wie Sie sehen. So ist der Vorgang der Meditation äußerst heikel, und das Ergebnis hängt völlig von der geistigen Verfassung des Meditierenden ab. Die folgenden Einstellungen sind wesentlich, um bei der Praxis Erfolg zu haben. Die meisten davon sind zuvor dargelegt worden. Aber wir stellen sie hier noch einmal zusammen als eine Reihe von Regeln für die praktische Umsetzung.

 

1) Erwarten Sie nichts. Setzen Sie sich einfach zurück, und sehen Sie, was passiert. Betrachten Sie das Ganze als ein Experiment.  Zeigen Sie aktives Interesse an diesem Test selbst. Lassen Sie sich aber nicht ablenken von Ihren Erwartungen hinsichtlich der Resultate. Kümmern Sie sich aus diesem Grund um keinerlei Ergebnisse. Lassen Sie die Meditation in Ihrem eigenen Tempo und in ihre eigene Richtung vorangehen. Lassen Sie zu, dass die Meditation Ihnen das beibringt, was sie Sie lernen lassen will. Meditative Bewusstheit sucht die Realität genau so zu sehen, wie sie ist. Ob das Ihren Erwartungen entspricht oder nicht, es erfordert eine zeitweise Aufhebung all unserer vorgefassten Meinungen und Ideen. Wir müssen unsere Bilder, Meinungen und Interpretationen für die Dauer der Sitzung aus dem Weg räumen. Sonst werden wir über sie stolpern.

2) Mühen Sie sich nicht ab: Erzwingen Sie nichts, und machen Sie keine großartigen übertriebenen Anstrengungen. Meditation ist nicht aggressiv. Da gibt es kein gewaltsames Kämpfen. Ihr Bemühen sollte ganz einfach entspannt und ruhig sein.

3) Beeilen Sie sich nicht: Da ist keine Eile, nehmen Sie sich daher Zeit. Lassen Sie sich auf ein Kissen nieder, und sitzen Sie, als ob Sie den ganzen Tag zur Verfügung hätten. Alles wirklich Wertvolle braucht Zeit zur Entwicklung. Geduld, Geduld, Geduld.

4) Hängen Sie an nichts, und weisen Sie nichts zurück: Lassen Sie kommen, was kommt, und stellen Sie sich darauf ein, was auch immer es ist. Wenn gute geistige Bilder auftauchen, ist das in Ordnung. Wenn schlimme geistige Bilder auftauchen, ist das auch in Ordnung. Betrachten Sie alles als gleich, und machen Sie es sich gemütlich bei allem, was auch immer geschieht. Kämpfen Sie nicht mit dem, was Sie erfahren, beobachten Sie einfach alles mit Achtsamkeit.

5) Lassen Sie los: Lernen Sie mit all den Veränderungen zu fließen die aufkommen. Werden Sie locker, und entspannen Sie sich.

6) Nehmen Sie alles an, was auftaucht: Akzeptieren Sie Ihre Gefühle, selbst die, die Sie nicht haben wollen. Akzeptieren Sie Ihre Erfahrungen, selbst die, die Sie hassen. Verurteilten Sie sich nicht, weil Sie menschliche Fehler und Schwächen haben. Lernen Sie alle Phänomene, die im Geist auftauchen, als vollkommen natürlich und verständlich zu betrachten. Versuchen Sie, ein unvoreingenommenes Akzeptieren zu üben, jederzeit und im Hinblick auf alle Erfahrungen.

7) Gehen Sie sanft mit sich um: Seien Sie freundlich zu sich. Sie mögen nicht vollkommen sein, aber Sie sind alles, woran Sie zu arbeiten haben. Der Prozess, zu werden, der Sie sein wollen, beginnt zuerst mit dem völligen Annehmen dessen, der Sie sind.

8) Erforschen Sie sich selbst: Hinterfragen Sie alles. Betrachten Sie nichts als selbstverständlich. Glauben Sie nichts, weil es weise und fromm klingt und irgendein Heiliger es gesagt hat. Sehen Sie selbst. Das bedeutet nicht, dass Sie zynisch, unverschämt oder respektlos sein sollten. Es heißt, dass Sie sich auf Ihre Wahrnehmung beziehen sollten. Unterziehen Sie alle Feststellungen der konkreten Überprüfung durch Ihre eigene Erfahrung, und lassen Sie die Ergebnisse Ihr Führer zur Wahrheit sein. Einsichtsmeditation entwickelt sich aus einem inneren Verlangen heraus, wach zu werden für das, was wirklich ist, und befreiende Einsicht zu gewinnen in die wahre Struktur der Existenz. Die ganze Praxis hängt von dieser Sehnsucht ab, zur Wahrheit zu erwachen. Ohne sie ist die Praxis oberflächlich.

 

9) Betrachten Sie alle Probleme als Herausforderungen. Sehen Sie das 'Negative', das auftaucht, als Gelegenheit, zu lernen und zu wachsen.  Laufen Sie nicht davon, verdammen Sie sich nicht, und verbergen Sie Ihre Bürde nicht in heiligem Schweigen. Sie haben ein Problem? Großartig. Mehr Wasser auf die Mühle.                                                 Freuen Sie sich, gehen Sie ran, und untersuchen Sie es.

10) Grübeln Sie nicht: Sie brauchen sich nicht alles auszudenken. Weitschweifiges Denken wird Sie nicht aus der Falle befreien. In der Meditation wird der Geist auf natürliche Weise durch Achtsamkeit gereinigt, ohne Worte, durch reine Aufmerksamkeit. Gewohntes Überlegen ist nicht nötig, um die Dinge auszumerzen, die Sie in Knechtschaft halten. Alles, was man braucht, ist eine klare, vorbegriffliche Wahrnehmung davon, was sie sind und wie sie wirken. Das allein genügt, um sie aufzulösen. Konzepte und verstandesmäßiges Denken stehen nur im Weg. Denken Sie nicht. Sehen Sie.

11) Verweilen Sie nicht bei Gegensätzen: Unterschiede existieren wirklich unter den Menschen, aber sich dabei aufzuhalten ist ein gefährlicher Prozess. Wenn man nicht sorgsam damit umgeht, führt er direkt zu Ichbezogenheit. Gewöhnliches menschliches Denken ist voll von Gier, Eifersucht und Stolz. 

Ein Mann, der einen anderen Mann auf der Straße sieht, mag unmittelbar denken, ‘Er sieht besser aus als ich’. Das sofortige Ergebnis ist Neid oder Scham.  Ein Mädchen, das ein anderes Mädchen sieht, mag denken, - ich bin hübscher als sie -. Das sofortige Ergebnis ist Stolz.  Diese Art von Vergleich ist eine geistige Gewohnheit, und sie führt direkt zu schlechtem Gefühl der einen oder anderen Art: Gier, Neid, Stolz, Eifersucht, Hass. Es ist ein unheilsamer geistiger Zu­stand, aber wir verhalten uns die ganze Zeit so. Wir vergleichen unser Aussehen mit anderen, unseren Erfolg, unsere Leistungen, unseren Reichtum, Besitz oder IQ, und all dies führt zum gleichen Zustand: Entfremdung, Schranken zwischen Menschen und ungute Gefühle. Die Aufgabe des Meditierenden besteht darin, diese unkluge Gewohnheit aufzugeben, indem man sie gründlich untersucht und dann durch eine andere ersetzt. 

Statt auf die Unterschiede zwischen sich und anderen zu achten, übt der Meditierende sich darin, Ähnlichkeiten festzustellen. Er konzentriert seine Aufmerk­samkeit auf jene Faktoren, die universell sind für alles Leben, Aspekte, die ihn anderen näher bringen werden. So führt sein Vergleichen, wenn es das überhaupt ist, eher zu Gefühlen von Verwandtschaft als zu Gefühlen der Entfremdung.

 Atmen ist ein universeller Prozess. Alle Wirbeltiere atmen im wesentlichen auf die gleiche Art. Alle lebenden Wesen tauschen auf die eine oder andere Art Gase aus mit ihrer Umgebung. Dies ist einer der Gründe dafür, dass die Atmung als zentrales Objekt für die Meditation gewählt wird. Dem Meditierenden wird empfohlen, den Prozess seiner eigenen Atmung zu erforschen als Mittel, seine eigene natürliche Verbundenheit mit allem übrigen Leben zu erkennen. Dies bedeutet nicht, dass wir unsere Augen verschließen vor all den Unterschieden um uns herum. Unterschiede sind da. Es bedeutet einfach, dass wir Gegensätze nicht hervorheben und die allgemeingültigen Faktoren betonen, die uns gemeinsam sind. Das empfohlene Verfahren ist folgendes: Wenn wir als Meditierende irgendein sensorisches Objekt wahrnehmen, sollten wir nicht auf die übliche egoistische Weise dabei verweilen. Wir sollten besser den Wahrnehmungsprozess selbst beobachten. Wir sollten beobachten, was dieses Objekt in unseren Sinnen und unserer Wahrnehmung bewirkt. Wir sollten die Gefühle beobachten die auftauchen, und die geistigen Aktivitäten die folgen. Wir sollten die Veränderungen bemerken, die sich in unserem eigenen Bewusstsein als Folge ereignen. Beim Beobachten all dieser Phänomene müssen wir uns der Universalität dessen bewusst sein, was wir sehen. 

Die ursprüngliche Wahrnehmung wird angenehme, unangenehme und neutrale Gefühle auslösen. Das ist eine universelle Erscheinung. 

Sie ereignet sich im Geist anderer genauso wie in unserem eigenen, und wir sollten das klar sehen. Folgt man diesen Gefühlen, können verschiedene Reaktionen auftauchen. Wir können Begierde, Lust oder Eifersucht spüren. Wir können Furcht, Besorgnis, Unruhe oder Langeweile empfinden.  Diese Reaktionen sind universell. Wir bemerken sie einfach und verallgemeinern sie dann. Wir sollten erkennen, dass diese Reaktionen normale menschliche Antworten sind und in jedem entstehen können.

Diese Art von Vergleich anzustellen mag zuerst erzwungen und künstlich erscheinen, aber es ist nicht weniger natürlich als das, was wir gewöhnlich tun. Es ist uns bloß nicht vertraut. Durch Übung ersetzt dieses Verhaltensmuster unsere normale Gewohnheit egozentrischen Vergleichens und kommt uns dann auf lange Sicht weitaus natürlicher vor. Als Folge werden wir sehr verständnisvolle Menschen. Wir regen uns nicht länger über die Schwächen anderer auf. Wir kommen voran in Richtung Harmonie mit allem Leben.

Quelle: „Die Praxis der Achtsamkeit“ -

 Mahathera Henepola Gunaratana

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