DAS LEBENSGEFÄNGNIS — Das Gefängnis des Lebens
Ein Vortrag von Ajahn Buddhadasa für westliche Teilnehmer eines MeditationsKurses; gehalten am 10 Februar 1988 in Suan Mokkhabalarama, (Südthailand) |
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Heute werden wir über etwas sprechen, das "Gefängnis" genannt wird. Das sollte uns helfen, etwas, das "Leben" genannt wird, besser zu verstehen. Dadurch werden wir das Dhamma[1] besser verstehen, was uns wiederum helfen wird, unser Leben ohne dukkha (Unzufriedenheit, Schmerz, Kummer, Leid) zu leben. Bitte bereitet Euren Geist darauf vor, genau zuzuhören. Wo immer die Bedingungen und Anzeichen eines Gefängnisses auftreten, damit tritt auch gleichzeitig dukkha auf. Ihr solltet beachten, dass alle Formen und Arten von dukkha (Leid) die Qualität eines Gefängnisses an sich haben. Gefangen, eingekerkert und angekettet zu sein und durch Schwierigkeiten und Auseinandersetzungen hindurch zu müssen sind Merkmale von dukkha. Wenn Ihr das versteht, wird Euch die Bedeutung dessen, was wir "upâdanâ" (Anhaften, Ergreifen, Festhalten, Verhaftung, Anklammern) nennen, klarer werden. Wo immer auch upâdanâ vorhanden ist, genau dort ist auch ein Gefängnis. Dieses upâdanâ bringt selbst die Bedingungen des Eingesperrtseins hervor. Wo immer upâdanâ ist, ist auch Gebundensein. Dieses Gebundensein mag entweder einen positiven oder einen negativen Aspekt haben, in beiden Fällen jedoch sind wir gefesselt. Durch das Betrachten der Dinge als "Ich" oder "Mein" und durch das Anhaften an ihnen sind wir an sie gekettet. Wenn wir an etwas gebunden sind, verfangen wir uns darin, und es ist genauso als wären wir in einem Gefängnis gefangen. Alle Dhammagrundsätze des Buddhismus können so zusammengefasst werden: Die Ursache von dukkha wird aus dem Anhaften geboren. Deshalb sollten wir alle dieses upâdanâ gut verstehen. Um es leichter verstehen zu können, müssen wir klar erkennen, dass upâdanâ genauso wie ein Gefängnis ist. Es ist ein geistiges, ein spirituelles Gefängnis. So kommen wir zum Studium des Dhamma und entwickeln samâdhi (geistige Stabilität und Ruhe) und vipassanâ (Einsicht), um upâdanâ zu zerstören. Oder, um es bildlich auszudrücken, wir studieren Dhamma und entwickeln den Geist, um das Gefängnis zu zerstören, das uns jetzt gefangen hält. Wir sprechen zwar über ein geistiges oder spirituelles Gefängnis, aber es hat die gleiche Qualität wie ein echtes Gefängnis aus Beton, in denen Menschen überall gefangen gehalten werden. Allerdings ist dieses geistige Gefängnis insofern etwas seltsam oder außergewöhnlich, weil wir es nicht mit unseren Augen sehen können. Noch außergewöhnlicher ist es, dass Menschen sich freiwillig melden, um sich dort einsperren zu lassen. Tatsächlich freuen sich die Menschen sogar noch darüber, dass sie sich dort einsperren lassen können. Das ist ein sehr merkwürdiger Aspekt des spirituellen Gefängnisses. Ihr müsst Euch die Worte "Befreiung" oder "Erlösung", wie sie in allen Religionen verwendet werden, in Erinnerung rufen. Das letztendliche Ziel aller Religionen ist Errettung oder Befreiung, oder welches Wort in der jeweiligen Sprache am geeignetsten ist. Alle diese Worte haben die gleiche Bedeutung: erlöst, gerettet, befreit zu werden. Alle Religionen lehren Befreiung. Woraus werden wir also befreit? Wir werden aus dem spirituellen Gefängnis befreit. Das, was alle von Euch wollen und brauchen - sogar jetzt in diesem Moment - ist "Freiheit" oder "Ungebundenheit". Das ist nichts anderes als der Ausbruch aus dem Gefängnis. Sei es ein physisches, materielles Gefängnis oder ein geistiges, spirituelles Gefängnis, in beiden Fällen wollen wir Freiheit. Jene, denen es an Weisheit mangelt, können nur die physischen, materiellen Gefängnisse sehen und fürchten. Aber jene, die genug Weisheit (paññâ) besitzen, um tiefer zu blicken, werden erkennen, um wie viel schrecklicher und gefährlicher dieses spirituelle Gefängnis ist. Tatsächlich sitzen vergleichsweise nur wenige in einer normalen Haftanstalt, während jeder, die ganze Welt, im spirituellen Kerker einsitzt. So befindet sich zwar jeder von Euch in Freiheit, außerhalb des gewöhnlichen Gefängnisses, aber Ihr alle seid im spirituellen Gefängnis eingekerkert. Was uns dazu treibt, uns für Dhamma zu interessieren, hier herzukommen, um Dhamma zu studieren und uns in der Geistesentwicklung zu üben, ist die Bedrängnis und der Druck der Gefangenschaft in diesem spirituellen Gefängnis. Ihr mögt Euch dessen vielleicht nicht bewusst sein, aber so ist die Sachlage. Die spirituelle Gefangenschaft zwingt uns, gleich ob wir wollen oder nicht, zu kämpfen und einen Weg heraus zu suchen. Ob Ihr es erkennt oder nicht, die spirituelle Gefangenschaft zwingt alle von Euch, die spirituelle Freiheit zu finden. Also kommt Ihr hierher und an andere Orte wie diesen. |
Obwohl das, was uns gefangenhält, nur ein einziges Ding, nämlich ganz allein upâdanâ (Anhaften) ist, nimmt dieses Gefängnis viele verschiedene Formen an. Es gibt Dutzende von Formen und Arten davon. Wenn wir uns die Zeit nehmen, einige Arten von Gefängnissen zu betrachten, wird es uns das Verständnis erleichtern. Dann werden wir dieses Phänomen upâdanâ besser verstehen und wir werden auch tanhâ (Verlangen, wörtl: Durst) und kilesa (geistige Verunreinigungen, Herzenstrübungen) besser verstehen, welche nach der buddhistischen Lehre dukkha (Leiden, Unzufriedenheit) verursachen. Und wir werden auch dukkha verstehen, wenn wir das Thema Gefängnis klar und gründlich verstanden haben. Ich möchte Euch raten, das Wort upâdanâ anstelle von "Anhaften", Festhalten oder anderen Übersetzungen zu verwenden. Diese Worte werden immerzu missverstanden. Ihr müsstet die Bedeutung der Worte Anhaften, Verhaftung, Anklammern und Festhalten nehmen und sie kombinieren, um die Bedeutung von upâdanâ zu erhalten. Es ist also besser für uns, das Wort upâdanâ zu benutzen. Seine Bedeutung ist weiter gefasst und sie wird es uns ermöglichen, diese Angelegenheit tiefer und ausführlicher zu betrachten. Ihr mögt es jetzt noch nicht ganz verstehen, aber versucht dieses Wort upâdanâ zu benutzen und eure Zunge, euren Geist und eure Gefühle daran zu gewöhnen. upâdanâ ist nur ein einfaches Wort, aber es steht für die wichtigste Sache überhaupt. Wir müssen uns darüber im klaren sein, dass das Herz des Buddhismus die Zerstörung, die Entwurzelung, das Herausschneiden und Auslöschen von upâdanâ ist. Ist das geschehen, dann ist dukkha (Leiden, Unzufriedenheit) beendet, und es gibt kein Gefängnis mehr. Sollten wir also nicht Interesse für die Angelegenheit des Auslöschens von upâdanâ oder, metaphorisch gesprochen, für die Zerstörung des Gefängnisses entwickeln? Dies ist die Essenz aller buddhistischen Gruppierungen und Schulen. Theravada Buddhismus, Mahayana Buddhismus, Zen Buddhismus, Tibetanischer Buddhismus, welche Art von Buddhismus Ihr auch bevorzugt, sie unterscheiden sich nur oberflächlich, dem Namen nach, oder in den äußerlichen Zeremonien und Übungen. Aber das Herz ist überall das gleiche: das Auslöschen von upâdanâ. Seid nicht traurig oder enttäuscht und macht Euch nicht selbst das Leben schwer, durch den Gedanken, dass Ihr nicht in der Lage seid, alle Schulen des Buddhismus zu studieren. Macht Euch keine Sorgen, wenn Ihr den Buddhismus in Tibet, in Sri Lanka, in Burma, in China oder woanders nicht studieren konntet. Es wäre Zeitverschwendung. Es gibt nur eine einzige Essenz oder einen Kern, nämlich den, upâdanâ zu eliminieren. Also studiert einfach nur diese eine Sache, das ist genug. Wenn ihr wirklich ein Experte für Mahayana Buddhismus werden wollt, müsst Ihr Sanskrit lernen. Oder, wenn Ihr Zen gut verstehen wollt, müsst Ihr chinesisch lernen. Um Vajrayana kennenzulernen, den Buddhismus von Tibet, müsst Ihr tibetisch lernen. Nur die Sprachen zu lernen, wird Euch fast Euer ganzes Leben kosten, und doch werdet Ihr in Wirklichkeit immer noch nichts gelernt haben. Ihr seid immer noch nicht ins Herz des Buddhismus vorgedrungen. Versteht was das Herz von allen Buddhistischen Schulen ist und lernt nur diese eine Sache: das Auslöschen von upâdanâ. Dann werdet Ihr die Essenz des Buddhismus kennen, gleich ob er Mahayana, Theravada, Zen oder Vajrayana genannt wird. Dies sind nur Oberflächlichkeit, die als neue Entwicklungen heraufbeschworen werden. Sogar in der einen Schule des Theravada Buddhismus gibt es viele verschiedene Ausprägungen. Es gibt auch viele verschiedene Arten von geistiger Kultivation. Da ist die Art Meditation aus Burma, bei der das Heben und Senken der Bauchdecke beobachtet wird; da sind die Arten, die auf den Mantras "Samma Araham" und "Buddho, Buddho" basieren, sowie die verschiedensten anderen Methoden und Techniken. Wenn es sich um eine richtige Meditationsart handelt, so ist der Kern einer jeden immer genau der selbe: die Notwendigkeit, upâdanâ auszulöschen. Wenn sie noch nicht bis zum Auslöschen von upâdanâ vorgedrungen ist, ist sie noch nicht das Richtige. Und sie wird auch nicht von Nutzen sein. [1] Dhamma: Das ’Tragende’, das Gesetz, Naturgesetz, die Lehre des Buddhas, die Gesetzmäßigkeiten, die in dem Universum wirken, die Wahrheit. |