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. Der erste volle, selbständige Bewußtseinsprozeß[1] kommt erst dann zustande, wenn das Kind geboren wird, eine eigenständige Existenz annimmt und so mit der Außenwelt Kontakt aufnehmen kann. (Der vorgeburtliche unbewußte bhavanga-Zustand weicht dem ersten Bewußtseinsprozeß des geborenen Kindes.)

Entfernung ist kein Hindernis für den Verlauf von Ursache und Wirkung. Erwähnt wurde schon die Ermahnung, die der Buddha dem Mönch Sati für die falsche Behauptung erteilte, der Buddha lehre: ‘Das Bewußtsein ‘wandert’ von einer Existenz zur anderen’.

            In dem ‘Verbindungs-Bewußtsein’ verbleibt die ganze Energie des vorhergehenden Bewußtseins. Der Embryo ererbt dann nicht nur die genetischen Anteile seiner neuen Eltern, sondern auch die Eindrücke der vergangenen Erfahrungen des gestorbenen Menschen. (Deswegen kann man gewisse Charaktereigenschaften in einem Menschen vorfinden, die nicht auf die Vererbung zurückzuführen sind. Wie verschiedene Charakterzüge die z.B. in Zwillingen vorzufinden sind, obwohl sie die gleichen Eltern haben und unter gleichen Umständen aufwachsen.)

Wir haben den Tod nun von verschiedenen Blickwinkeln aus untersucht. Aus welcher Richtung wir ihn auch betrachten, er ist ein eingegliederter Teil des großen Lebensprozesses.

Der Tod ist vergleichbar mit dem Zerbrechen einer Glühbirne. Das Licht ist erloschen, aber den Strom gibt es immer noch. Wenn eine neue Glühbirne angebracht wird, erscheint auch wieder das Licht. In ähnlicher Weise verhält es sich auch mit der Beständigkeit des Lebensstroms. Das ‘Zerbrechen’ des gegenwärtigen Körpers vernichtet nicht den ‘Strom’ kammischer Energie. Sie wird sich wieder in einem angemessenen neuen Körper manifestieren. (Das Beispiel mit der Glühbirne paßt allerdings nicht ganz, denn es gibt keine gesetzmäßige Kraft, die eine neue Glühbirne und den Strom wieder zusammenbringen.)

Beim Entstehen eines neuen Körpers verhält es sich so, daß die Art und Weise des geführten Lebens, die Qualität der Gedanken und die Qualität der gewirkten Handlungen stark genug sind, um ein sofortiges ‘Verbindungs-Bewußtsein’ von gleicher Qualität zu erzeugen. Dies geschieht nach dem Prinzip: Gleiches zieht Gleiches an. Mit anderen Worten: Der sterbende Mensch fühlt sich zu einer Umgebung hingezogen, die er sich selbst durch seine Gedanken, seine Worte und seine Handlungen gestaltet hat. Die Bedingungen des kommenden Lebens sind davon abhängig.

            In jedem Moment gestalten wir unsere eigene Zukunft. Deswegen sollten wir jeden Moment aufpassen und achtsam sein. Könnten wir uns das unermeßliche Ausmaß der Vergangenheit und das der Zukunft auch nur vorstellen, so würde die Gegenwart ihre scheinbar verlockende Bedeutung verlieren. Könnten wir die endlose Reihe der zahllosen Geburten und Tode sehen, durch die wir alle schon gegangen sind, und die zahllosen Geburten und Tode, die noch auf uns warten, würden wir sicherlich nicht nur diesen einen Tod fürchten, der dieses Leben beenden wird. Ein einziger Tod aus einer unüberschaubaren Serie von Geburt und Tod: Entstehen - Vergehen, Erscheinen - Entschwinden. Das ist es, was den endlosen Prozeß des Samsâras [2] ausmacht.

Der Werdeprozeß

Es gibt eine weitere Möglichkeit den Prozeß des Todes zu verstehen. Es sind Betrachtungen über das ‘Werden’ oder auf Pali Bhava, das mit dem Gesetz der Vergänglichkeit eng verknüpft ist. ‘Werden’ oder ‘Werdeprozeß’ ist auch ein Glied in der Reihe der ‘Bedingten Entstehung’. Nach buddhistischer Weltanschauung ist das ‘Werden’, genauso wie das Gesetz der Vergänglichkeit ständig am Wirken und auf alles anwendbar. Während das Gesetz der Vergänglichkeit besagt, daß es nichts dauerhaftes gibt, sondern sich alles ständig ändert, beschreibt der Werdeprozeß die ständige Wandlung eines Dinges in etwas anderes. Die Dinge ändern sich nicht nur ständig, sondern die Natur dieser Veränderung ist ein Prozeß, ständig etwas anderes zu werden. Egal wie kurz oder wie lange dieser Vorgang dauern mag. Das Gesetz des Werdens ist kurz beschrieben mit: “Nichts ist - außer ‘Werden’.” Ein unablässiges ‘Werden’ ist das Kennzeichen aller Dinge. Eine kleine Pflanze ist ständig in dem Prozeß, ein großer Baum zu werden. Ein großer Baum ist ständig in dem Prozeß, ein alter Baum zu werden. Es gibt keinen Moment in Zeit, wo nicht irgend etwas ständig etwas anderes wird. “Mit dem Anfang von etwas, hat auch schon das Ende dieses etwas begonnen”, sagte Rhys Davids.

Wenn wir an einem Meer stehen und beobachten, wie eine Welle nach der anderen kommt und geht, wie eine Welle mit der anderen verschmilzt, wie eine Welle zur anderen wird, werden wir daran erinnert, daß alle Erscheinungen dieser Welt im ständigen ‘Werden’ begriffen sind.

[1] Vîthi-citta.

[2]Samsâras:’Beständiges Wandern’, Daseinswanderung, der ewige Kreislauf von Geburt und Tod.

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