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In der Visuddhi Magga wird gesagt, daß im letztendlichen Sinne die Lebensdauer der Lebewesen extrem kurz ist, und nur so lange andauert, wie ein einziger Bewußtseinsmoment: 

“So wie das rollende Rad einer Kutsche, 

den Boden nur an einem Punkt seiner Umrandung berührt, 

genauso lange dauert das Leben der Wesen:

Nämlich nur einen Bewusstseinsmoment.

Wenn dieses Bewusstsein vergeht,

vergeht auch dieses Wesen.”

Wir können also sagen, daß wir in jedem Moment unseres Lebens sterben und neu geboren werden.

Es stellt sich die Frage: “Warum sollten wir ausgerechnet den einen Moment besonders fürchten, der das Ende unserer Existenz kennzeichnet? Wenn es diese unzählbaren Momente des Todes schon oft gab, warum sollten wir den letzten mehr fürchten, als all die anderen vorher?”

Das Nicht-Wissen, die Nicht-Kenntnis der Natur der ‘momentanen Tode’ oder des ständigen Sterbens läßt uns den Tod dieses einen Momentes, der das Ende unserer Existenz kennzeichnet, besonders fürchten. Aber auch deswegen, weil der nächste Lebensmoment weder verstanden, noch gesehen wird. Der letzte Moment dieser Existenz ist nur einer von ungezählten Todesmomenten. Einer, der den anderen nur gefolgt ist.

Es ist nicht nur das Leben in dieser Existenz, das ein Werdeprozeß ist. Der Werdeprozeß geht auch in der nächsten Existenz weiter, weil es ein Weiterbestehen von Bewußtsein gibt.

Aus dem letzten Bewußtseinsmoment[1] in diesem Leben entsteht das sogenannte ‘Verbindungs-Bewußtsein’[2] des ‘kommenden’ Lebens. Der Prozeß, daß ein Bewußtseinsmoment den anderen nach sich zieht, geht ununterbrochen weiter. Der einzige Unterschied besteht darin, daß der Ort, wo sich dieser Bewußtseinsmoment zeigen wird (nach Auflösung des Körpers), ein anderer sein wird.

Entfernung ist kein Hindernis für die Abfolge von Ursache und Wirkung.

            Das Leben ist ein Prozeß von Begehren und Werden - der Tod verändert das Ding[3], das wir begehren, und führt so zu neuem ‘Werden’. Die Erfüllung von Wünschen ist das Merkmal, worüber menschliches Dasein ständig besorgt ist. Es ist Begehren, das zum Werden führt. Was ist die Ursache für Begierde? Es ist dieser ‘Durst’, es sind die Wünsche, das Verlangen, der Lebenswille, das Gefühl der Dringlichkeit, (das man in der Pali-Sprache Tanhâ nennt), das dieses Begehren verursacht. Die kammische Energie, die aus diesem Begehren hervorgeht ist wie Feuer. Sie ist immer und ständig am brennen. Um sich zu erhalten, ist sie immer auf der Suche nach neuer ‘Nahrung’. Es ist immer auf der Suche nach neuen ‘Dingen’, um seine Existenz aufrecht zu erhalten. Im Moment der Auflösung unseres Körpers wird die unverbrauchte ‘Wunsch-Energie’, dieser Rückstand kammischer Energie, nach frischer Nahrung greifen und sich auf die Suche nach einer neuen ‘Unterkunft’ machen, wo sie sich erhalten kann. In dieser Weise setzt sich ein ständiger Strom von Begierde und von Werdeprozessen fort. Das ist es, was man Leben nennt.

Der letzte Moment einer Existenz

Untersuchen wir nun diesen übermäßig gefürchteten Moment, der das Ende einer gegenwärtigen menschlichen Existenz kennzeichnet.

Der körperliche Zustand eines sterbenden Menschen ist so schwach, daß der bewußten Kontrolle des Geistes die Kraft fehlt, seine eigenen Gedanken zu wählen. Da das so ist, kann sich die Erinnerung irgendeines starken Eindruckes oder eines wichtigen Ereignisses aus des sterbenden Menschen gegenwärtiger Existenz (oder seiner vergangenen Existenzen) an die Schwelle seines Bewußtseins drängen. Diesem Gedanken, der sich so gewaltsam Eintritt verschafft, ist er machtlos ausgeliefert. Diesen Gedanken nennt man den maranâ-sañña-javana Gedanken. Das heißt soviel wie: Der Gedankenimpuls, der im Moment des Sterbens ansteht. Dieser Gedanke ist dem allerletzten Gedanken[4] vorgeschaltet. Dieser letzte Gedanke kann einer von drei verschiedenen Arten sein.

[1]cuti-citta.

[2]patisandhi-viññâna.

[3]D.h: Diesen Körper und die damit verbundene Möglichkeit unsere Wünsche zu befriedigen.(Anm.d.Übers.)

[4]cuti-citta.

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