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Während Patâcârâ die Universalität, die allgemeingültige Tatsache des Todes durch die Erkenntnis ihrer ungezählten Verluste in der Vergangenheit verstand, erkannte Kisâgotami diese Wahrheit, indem sie von den ungezählten schmerzlichen Verluste anderer Menschen hörte.
Als Kisâgotamis eigenes Kind starb, war ihr Kummer so groß,
daß sie das tote Kind nicht loslassen oder es bestatten wollte. Es war
der erste Verlust, der ihr (in diesem Leben) jemals widerfuhr. Sie trug
das tote Kind eng an ihren Körper gepreßt. Sie ging von Haus zu Haus und
fragte die Menschen nach einer Medizin, die ihr Kind wieder ins Leben zurückrufen
könnte. Auch sie wurde schließlich zum Buddha geschickt. Er sagte ihr,
sie solle eine Paste aus weißen Senfkörnern herstellen. Allerdings dürfte
sie diese Senfkörner nur von einem Haushalt akzeptieren, in dem noch nie
ein Mensch gestorben war. Sie ging dann los und suchte nach dieser
Medizin, von der sie dachte, daß sie so leicht zu bekommen sei. Als sie
an das erste Haus anklopfte und wissen wollte, ob in diesem Haus schon
einmal jemand gestorben sei, bekam sie zur Antwort: “Gute Frau was
fragst du da? Die Menschen, die hier leben, das sind wenige; aber die, die
hier schon gestorben sind, das sind viele!” Sie ging dann zum nächsten
Haus. Auch hier wurde ihr gesagt, daß der Tod schon oft an diese Tür
geklopft hat. Sie ging zu vielen Häusern. An jeder Haustür wurde ihr
gesagt, daß entweder ein Vater, eine Mutter, eine Tochter, ein Sohn oder
ein anderer Verwandter schon gestorben waren. Als es Abend wurde, war sie
von dieser hoffnungslosen Mühe erschöpft. Sie konnte das Wort Tod aus
jedem Hause heraus schallen hören. Sie erkannte die allgemeingültige
Tatsache des Todes. Sie begrub ihr Kind in einem Wald und ging dann zurück
zum Buddha und sagte: “Ich dachte, ich bin die Einzige, die an einem
solchen schmerzlichen Verlust leidet. Ich fand dieses Leiden jedoch in
jedem Haus. Ich begriff, daß die Lebenden in jedem Dorf wenige, aber die
schon Verstorbenen viele waren.” Kisâgotami war nicht nur von
ihrem Kummer erlöst, sondern trat auch in den Strom des Dhammas ein,
nachdem der Buddha ihr eine Lehrrede gehalten hatte. “...Er geht doch nur den Weg, den er nun gehen muß...” Vergleichen wir nun die Fälle von Patâcârâ und Kisâgotami mit dem eines Bauern, welcher der Bodhisatta[1] in einem früheren Leben war, wie es in den Uraga Jâtikas beschrieben wird. Obwohl er ein einfacher Bauer war, übte er sich regelmäßig in der Betrachtung über den Tod. “Der Tod kann jeden Augenblick zu uns kommen.” Er machte sich diese Betrachtung nicht nur zu seiner eigenen Übung und Gewohnheit, sondern er war auch darauf bedacht, daß sich die anderen Mitglieder seines Haushaltes in gleicher Weise übten. Als er eines Tages wieder mit seinem Sohn auf dem Felde arbeitete, wurde letzterer von einer Giftschlange gebissen und starb sofort. Der Vater war darüber in keiner Weise beunruhigt oder betrübt. Er trug den toten Körper zum Fuße eines Baumes und bedeckte ihn mit einem Mantel. Er weinte nicht und jammerte nicht, sondern ging seiner Arbeit auf dem Felde weiter nach. Später gab er einem Passanten die Nachricht mit auf den Weg, daß seine Familie nur ein Essenspaket zu schicken brauche, und daß sie mit Blumen und Duftwasser kommen sollten. Als seine Frau diese Nachricht erreichte, wußte sie, was sie bedeutete. Auch sie zeigte sich unbekümmert. Weder ihre Tochter, noch ihre Schwiegertochter, noch die Hausangestellte zeigten irgendwelche Trauer. Wie der Vater sie gebeten hatte, gingen sie alle mit Duftwasser und Blumen auf das Feld, um eine einfache Bestattung abzuhalten, wo keine Tränen flossen. Sakka, der Götterkönig, nahm die Form eines Menschen an und ging zu dem Feld, wo der tote Körper gerade auf einem Holzhaufen verbrannt wurde. Er fragte die Anwesenden, ob sie gerade das Fleisch eines Tieres braten würden? Als sie antworteten, daß es ein menschlicher Körper sei, wollte Sakka wissen, ob es ein Feind von ihnen gewesen war? Der Vater antwortete: “Es war kein Feind, sondern unser eigener Sohn.” “Dann habt ihr ihn sicherlich nicht geliebt,” antwortete Sakka. “Er war unser über alles geliebter Sohn,” antwortete der Vater. “Warum weint ihr dann nicht?” wollte Sakka weiter wissen.[1] Bodhisatta ist ein Bezeichnung für den noch nicht erleuchteten Buddha in einem früheren Leben. |